(4. Kapitel aus Vygotskijs Lehrbuch der Pädologie, übersetzt von Peter Keiler, mit Bezug zu einer Übersetzung aus dem Englischen von van der Veer & Valsiner 1994)
Vygotkij (V) geht es um die Beziehung zwischen Kind und
Umwelt, wobei er sich explizit um den Begriff der Beziehung bemüht, den er von
einer objektiven Entwicklungsbedingung unterscheidet. Die Umweltindikatoren
sind seiner Ansicht nach nicht objektiv, sondern relativ, d.h. sie ändern sich
einerseits ständig, andererseits ändern sie sich auch dann, wenn sie rein
objektiv gesehen gleich bleiben, und zwar dadurch, dass sich das Kind selbst
verändert, so dass gleiche Bedingungen andere Wirkungen erzeugen. Dabei geht er
noch gar nicht auf die sich ständig ändernden sozialen und personalen
Bedingungen ein, die das Ganze noch verstärken. Er zeigt das sehr schön am
Beispiel der Sprache und des sprachlichen Entwicklungsstandes des Kindes, das
eben je nach diesem Stand eine völlig andere Sprache hört und spricht.
Vygotskij spricht deshalb von - bzw. die
Übersetzung spricht von - „Umweltmomenten“. Laut Peter Keiler
(persönliche Mitteilung Mai 2015) entspricht
die deutsche Übersetzung mit dem Begriff
„Umweltmomente“ dem russischen Original, während die amerikanische Übersetzung
den Begriff „environmental factors“ benutzt:
„Selbst wenn die Umwelt sich nur wenig verändert,
führt allein schon die Tatsache, dass sich das Kind selbst im
Entwicklungsprozess verändert, zu einer Situation, in welcher die Rolle und
Bedeutung dieser Umweltmomente, die, objektiv betrachtet, augenscheinlich
unverändert geblieben sind, de facto doch eine Veränderung durchmachen, und
dieselben Umweltmomente, die während eines gegebenen Lebensalters eine
bestimmte Bedeutung haben und eine gewisse Rolle spielen, beginnen zwei Jahre
später eine andere Bedeutung zu haben und eine gewisse Rolle spielen, weil das
Kind sich verändert hat; mit anderen Worten, die Beziehung des Kindes zu diesen
spezifischen Umweltmomenten hat sich gewandelt.
Die Fall-Geschichten von uns untersuchter Kinder versetzen uns in die Lage, in diesem Punkt noch exakter und präziser zu sein und zu sagen, dass die wesentlichen Momente, welche den Einfluss der Umwelt auf die psychische Entwicklung der Kinder und auf die Entwicklung ihrer bewussten Persönlichkeit erklären, durch ihr Erleben konstituiert werden. Das Erleben, das aus irgendeiner Situation resultiert oder von irgendeinem Aspekt seiner Umwelt hervorgerufen wird, bestimmt, welche Art von Einfluss diese Situation oder diese Umwelt auf das Kind haben wird. Deshalb entscheidet kein Moment für sich genommen (d.h. außerhalb der Beziehung zum Kind betrachtet) darüber, wie die Umwelt den zukünftigen Verlauf der kindlichen Entwicklung beeinflusst, sondern jedes Moment, wie es durch das Prisma des Erlebens de Situation durch das Kind gebrochen wird. “ S.3)
Die Fall-Geschichten von uns untersuchter Kinder versetzen uns in die Lage, in diesem Punkt noch exakter und präziser zu sein und zu sagen, dass die wesentlichen Momente, welche den Einfluss der Umwelt auf die psychische Entwicklung der Kinder und auf die Entwicklung ihrer bewussten Persönlichkeit erklären, durch ihr Erleben konstituiert werden. Das Erleben, das aus irgendeiner Situation resultiert oder von irgendeinem Aspekt seiner Umwelt hervorgerufen wird, bestimmt, welche Art von Einfluss diese Situation oder diese Umwelt auf das Kind haben wird. Deshalb entscheidet kein Moment für sich genommen (d.h. außerhalb der Beziehung zum Kind betrachtet) darüber, wie die Umwelt den zukünftigen Verlauf der kindlichen Entwicklung beeinflusst, sondern jedes Moment, wie es durch das Prisma des Erlebens de Situation durch das Kind gebrochen wird. “ S.3)
In meiner Kopie hatte ich unter diesen Absatz folgende
Skizze gesetzt:
Gegenwartsmoment (Stern) vs. Umweltmoment
(Vyg.)
ê ê
Introspektiv, affektiv objektivierend,
beziehungsbezogen beziehungsbezogen
î ERLEBEN í
Nach genauerer Lektüre des Stern-Buches kann die Bezeichnung
„introspektiv“ nicht mehr unmittelbar verwendet werden, weil zwar das Frühstücksinterview
mit Introspektion arbeitet, nicht jedoch die Konzeption des Gegenwartsmoments,
denn deren interne Seite wird ja einerseits nur als Gewahrsein – d.h. als
Erleben – beschrieben und andererseits im Rahmen intersubjektiver Beziehungen
zwischen Bezugsperson und Kind.
Die Beziehung zwischen V. und Stern ist allerdings auf
mehreren Ebenen vorhanden. V. schreibt z.B. , dass das Kind sich „ . . . eines
Ereignisses gewahr wird, es interpretiert und sich emotional dazu verhält.“ (S.
6 oben). V. nimmt dazu die Metapher des Prismas, durch das Wahrnehmung,
Interpretation und Bewertung zum Erleben verschmolzen werden.
Dieses Erleben ist für V. eine ganzheitliche Einheit, und
zwar diese kleinste Einheit, die - wie die Kategorie der Bedeutung in seinen anderen
Texten - noch die Komplexität des Ganzen
beinhaltet. „Das Erleben ist eine
Einheit, in welcher einerseits als nicht herauslösbares Moment die Umwelt
repräsentiert ist, das heißt, was erlebt wird – das Erleben bezieht sich stets
auf etwas, das sich außerhalb des Menschen befindet. Und andererseits wird
darin das Wie, die Art und Weise wie ich das, was außer mir existiert,
auffasse, repräsentiert. . . . . So handelt es sich beim Erleben stets um eine
untrennbare Einheit von personalen Charakteristika und situationalen
Charakteristika, die darin repräsentiert sind.“ (S. 6 unten).
Das scheint mir jedenfalls sehr mit der Sternschen Kategorie
des GMs zu korrespondieren, wobei sich bei V. die Umwelt eher als eine objektiv
gegebene darstellt, einschließlich der darin agierenden Personen, und die
emotionale Erlebnisdimension sich in den persönlichen Charakteristika
wiederfindet. Der Begriff der konstitutionellen Befindlichkeit verweist auf die
subjektive Dimension des Erlebens, die bei Stern mit der Selbst-Kategorie zum
Ausdruck gebracht wird.
Ich finde V. hier durchaus differenzierter als Stern, weil
er damit auf wichtige Aspekte wie z.B. Temperament, Reizbarkeit,
Verarbeitungsgeschwindigkeit etc. verweist und im Begriff der „Haltung
gegenüber einer Situation“ (S.7) bündelt. Diese konstitutionelle Dimension
fehlt bei Stern. Der Begriff der Haltung taucht später nochmals als Begriff der
„Einstellung“ auf: „Die Umwelt übt diesen Einfluss, wie wir gesehen haben, über
das Erleben des Kindes aus, d.h. in Abhängigkeit von der inneren Einstellung,
die das Kind gegenüber den verschiedenartigen Aspekten der ihm in der Umwelt
begegnenden verschiedenen Situationen ausgebildet hat. Die Umwelt determiniert
den Typ der Entwicklung in Abhängigkeit davon, welchen Grad der Bewusstheit
über diese Umwelt das Kind erreicht hat.“ (12) Von daher würde ich bei V. mehr
Ansatzpunkte für interindividuelle und soziokulturelle Variablen sehen. Sie
werden allerdings nicht konsequent ins Entwicklungsmodell eingebaut (siehe
unten), sondern nur genannt.
Mit der Einführung der Begriffe Sinn und Bedeutung
konstruiert V. zudem eine andere Begriffshierarchie in Verbindung mit der Frage
der Niveaus der Bewusstheit. Er ist hier einerseits differenzierter als Stern,
weil er sich um Unterschiede in der (kognitiven wie emotionalen) Bedeutung von
Situationen kümmert und damit im echten Sinn kulturhistorische Variabilität und
Bewertungen zulässt. Andererseits ist unklar, inwieweit sein Sinnbegriff auch
die nichtreflexive Dimension des bloßen emotionalen Gewahrwerdens beinhaltet.
Demgegenüber kann Stern mit seinem auf das sog. nichtdynamische Unbewusste
bezogenen Konzeption emotionale Erfahrungen oder Erleben des Kindes
thematisieren, die keine reflexive, d.h. explizit verbalisierbare Komponente
aufweisen. Das bleibt aber eigentlich nur eine ontogenetische Durchgangsstufe,
die letztlich auf die verbale Reflektiertheit verweist. Nur in seinem Buch über
die Entwicklungsstufen des Selbst spricht er von der zweischneidigen Rolle der
sprachlichen Selbst, in der einerseits Bedeutungen ohne Erfahrungen und
andererseits Erfahrungen ohne Bedeutungen involviert sind.
Allerdings kommt dieser Zustand bei V. auch vor, er erklärt
ihn aber anders. Oder besser gesagt, er hat ein anderes normatives Modell der
Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, gekoppelt mit einem tendenziell
linearen Entwicklungsverständnis (orientiert an seinem
Begriffsentwicklungsmodell, Stichwort „Aufsteigen vom Abstrakten zum
Konkreten“). In jedem Fall kommt auch bei V. die Feststellung vor, „...dass ein Kind sich seiner Situation nicht
vollständig bewusst ist.“(9 unten) Die Gründe dafür liegen bei V. entweder in
einem alters-, behinderungs- oder Trauma-bedingten Entwicklungsrückstand.
Vs Position ist in dem Sinne eher kognitionszentriert,
obwohl er die emotionale Seite nicht ausschließt. Sein Maßstab ist in gewissem
Sinn dualistisch: einerseits gibt die Gesellschaft Wertungen und „richtiges
Verhalten“ vor – die objektive Seite, „ . . . das mit den Erwachsenen
kompatible System der Kommunikation“ (11) – andererseits reagiert das Kind
darauf entsprechend seinem Entwicklungsniveau, seiner Auffassungsgabe, Sinn-
und Bedeutungserfassung und seiner Konstitution emotional – die sog. subjektive
Seite, die dann entweder passt oder nicht passt (er nutzt hier klinische
Beispiele, in denen das Erleben traumatisch war; der Begriff „subjektiv“ kommt
allerdings nicht vor).
Im Schlussteil des Textes, in Verbindung mit der Kategorie
der „Idealform“ wird der Unterschied im Verhältnis von Individuum und
Gesellschaft gegenüber dem – weit weniger ausgearbeiteten oder offenen Modell
von Stern – allerdings klar und deutlich:
„Das, was in der kindlichen Entwicklung am Ende und als
Ergebnis des Entwicklungsprozesses erreicht werden kann, ist in der Umwelt von
Anfang an schon vorhanden. Und es ist nicht nur einfach von Anbeginn in der
Umwelt gegenwärtig, sondern es macht auch bereits auf den allerersten Stufen
der kindlichen Entwicklung seinen Einfluss geltend.“(14)
V. verdeutlicht das sehr anschaulich am Beispiel der
Sprachentwicklung und anhand eines historisch sehr brisanten Befundes: Kinder
aus bürgerlichen Familien, die zu Hause erzogen werden, sind (auch schon
damals) sprachlich weiter entwickelt als die Kindergartenkinder. Letztere haben
denen gegenüber Vorsprung im Hinblick auf Unabhängigkeit, Disziplin,
Selbständigkeit etc. (Die Ironie oder die Idiotie der Geschichte besteht ja darin,
dass genau diese Gründe zum Pädologie-Dekret geführt haben, in dem man den
Pädologen vorwarf, die kommunistische Erziehung durch bürgerliche Ideen zu
unterwandern und Kinder des Bürgertums pädagogisch zu bevorteilen.)
Vs theoretsiches Modell lautet folgendermaßen: Die
entwickelte Form der Sprache ist die Final- oder Idealform (ideal im Sinne
eines Leitbildes). Diese Idealform, die erst am Ende der Kindheit sprachlich
vorhanden ist, beeinflusst den Entwicklungsprozess aber von Anfang an. Das gilt
nach V. für alle anderen Bereiche, z.B. den Zahlbegriff, das arithmetische
Denken etc. Das gleiche Prinzip liegt m.E. auch der Entwicklung der Zeigegeste
zugrunde: Es handelt sich um einen Determinationsprozess, der sich allerdings
nur in einer von V. relativ unscharf skizzierten „quasi-pädagogischen“ Beziehung
entfalten kann. Das Modell lässt sich deshalb nach V. weder auf die Evolution
noch auf die gesellschaftlich-historische Entwicklung übertragen (Frage: warum
gibt es den Kommunismus noch nicht? Antwort: Weil es den Kommunismus noch nicht
gibt.)
Nur die kindliche Entwicklung verläuft nach diesem Muster, wobei
V. Wert darauf legt, dass es bei der Beziehung zwischen Idealform und
kindlicher Entwicklung nicht um Imitation
geht (wenn man böswillig ist, könnte man darin auch eine Anwendung der
These sehen „die Partei hat immer recht“).
Wie man sich das sonst vorstellen kann, wird bei V. nicht
besonders deutlich. Er plädiert für kleinschrittige Anpassungen an ein ideales
Modell, gewissermaßen an den jeweils am meisten entwickelten
gesellschaftlich-historische Standard eines Entwicklungsbereichs. Wenn im
Erleben der Kinder keine Idealform vorhanden ist (wie bei den traumatisierten
Kindern), dann gibt es auch keine Entwicklung. Oder mit meinen Worten: Wenn die
Moral fehlt, dann gibt es auch keine Moral? Daran stimmt irgendwas und
irgendwas stimmt nicht.
V.s Vorschlag lautet: die Finalform muss mit der
rudimentären Form in Wechselwirkung treten. Für den Kindergarten und die Schule
hieße das dann z.B. altersgemischte
Gruppen, Interaktion von Kindern und Erwachsenen etc. Die Rolle der Umwelt spielt sich also in
dieser Form der Wechselwirkung zwischen der rudimentären und der entwickelten
Form ab. Aus sich selbst heraus kann sich der Mensch nicht entwickeln, es braucht
die Einbindung in eine gesellschaftlich-historische Gruppe. „Diese Idealformen
beeinflussen die Kinder von ihrem frühesten Lebensalter an, als Teilmoment des
Prozesses der Beherrschung der rudimentären Form. Und im Verlauf ihrer
Entwicklung erwerben die Kinder dann das als ihre persönliche Eigenschaft, was
ursprünglich nur eine Form ihrer äußeren Wechselwirkung mit der Umwelt
darstellte.“(21)
Es gibt also eine äußere Wechselwirkung und eine daraus
resultierende Verinnerlichung partieller Aspekte - oder wie V. sich ausdrückt: Teilmomente.
Es gibt einige Unterschiede zwischen den beiden Positionen
(Stern u. Vygotskij:
(1) Der
Begriff des Gegenwartsmoments ist eine vor allem zeitlich und emotional
definierte Komponente eines komplexeren Handlungsgeschehens, vergleichbar dem
Leontjewschen Operationsbegriff. V.s Erlebensbegriff ist viel allgemeiner, hat
u.U. aber eine vergleichbare operationale und emotionale Gestalt, über die sich
V. aber nicht auslässt.
(2) Die
Zielsetzung der Autoren ist grundlegend unterschiedlich. Stern fokusiert
Veränderungsprozesse in (therapeutischen) dyadischen Interaktionsprozessen, die
möglicherweise Neues entstehen lassen, die aber zunächst durch bestimmte
Bewusstwerdungs- oder Gewahrwerdungsprozesse und durch die Entstehung intersubjektiven
Bewusstseins gekennzeichnet sind.
Vygotskij dagegen zielt auf eine allgemeine entwicklungspsychologische
Theorie, mit Bezug auf und in Absetzung von den zeitgenössischen
Entwicklungspsychologen/innen Piaget, Bühler, Lewin etc. Sterns Interesse oder
Motivation ist nicht die Erklärung von Entwicklungsprozessen im Piagetschen
oder Vygotskijschen Sinn. Er zielt vielmehr ab auf aktuelle
Veränderungsprozesse im Verhaltens-, Erlebens- und Erkenntnisstrom. Seine Frage
ist durchaus auf die Erklärung der Entstehung von Neuem gerichtet, allerdings
in einer sehr viel konkreteren oder situativeren Form als dies für Vygotskij
oder Piaget gilt. Bei Vygotskij ist damit der Begriff der Zone der
nächstfolgenden Entwicklung verbunden, bei Piaget die Assimilations- und
Akkommodationsprozesse einerseits und die Übergänge von einer strukturellen
Ebene der Entwicklung zur nächsten.
(3) Aus
beiden Positionen resultieren unterschiedliche Strategien für Veränderungs- und
Entwicklungsprozesse: Vygotski ist dezidiert pädagogisch, allerdings durchaus
modern (z.B. altersgemischte Lerngruppen, Plädoyer für Sinn und Bedeutung
etc.), Stern ist auf den Diskurs mit wechselseitiger Anerkennung und
emotionaler Beziehung orientiert.
Wenn ich mal eine gewagte These aussprechen darf, dann würde
ich sagen: In allen drei Positionen spielen Bewusstwerdungsprozesse eine
zentrale Rolle, auch wenn dies die Autoren u. U. bestreiten.
-
Bei Stern ist dies das Gewahrwerden einer
Operation im Rahmen einer (möglicherseise interaktiven) Handlung.
-
Dieses Gewahrwerden im vorsprachlichen Stadium
der Entwicklung des Kindes ist etwas Ähnliches, wenn nicht das Gleiche wie bei
Piagets Experimenten mit seinen Kindern, in denen er Erwartungen durch
Wiederholungen erzeugt, die er dann aber nicht einlöst und so die Kinder zum
Erstaunen bringt. Sie registrieren einen Widerspruch oder ein Hindernis in der
Zielerreichung. Wenn eine Assimilation nicht klappt, muss akkommodiert werden,
sofern das Kind dazu in der Lage ist. Welche Rolle dabei Sprache spielt ist
Piagets Geheimnis geblieben bzw. an einigen Stellen der Dokumentationen wird
deutlich, dass die Kinder auch sprachlich ihr Erstaunen zum Ausdruck bringen.
-
Bei Vygotkskij wiederum ist der Begriff des
Erlebens mit dem Grad der Bewusstheit und der wiederum explizit mit den
Begriffen Sinn und Bedeutung verbunden.
Was mir noch beim Lesen und Schreiben durch den Kopf ging
(in Verbindung mit dem Begriff „Idealform“:
Wir haben heutzutage keine verbindlichen Normen (mehr) und
keine funktionierende Moral. Es gibt keine Idealform der Kindererziehung oder
der Beziehungsgestaltung. Bei uns löst sich die Mutter-Vater-Kind-Interaktion
in individuelle Optimierungsphantasien auf, die aus irgendwelchen angelesenen
oder medial repräsentierten Modellen ohne realen Hintergrund stammen, selten
aus der eigenen Erfahrung als Kind. Es
fehlt die Vygotskijsche Objektivität im Sinne einer
gesellschaftlich-historischen Norm, die sich zu seiner Zeit leider auch nicht
auf eine ideale aber doch auf eine wirkmächtige Situation bezog, wie früher im
alten Europa Kirche, Kaiser und
Vaterland).
Die Idealform ist eben tatsächlich eine ideale und keine
reale Form, so dass sie deshalb nur in Partialbereichen – wie z.B. bei der Sprache
und anderen entwickelten Kompetenzsystemen (Musik, Wissenschaft, Sport)
– funktioniert oder funktionieren kann, wenn die Zwischenstationen und
Vermittlungsformen stimmen, über die die Idealform aber keine Auskunft gibt.
Außerdem ist völlig unklar, wie denn eine Idealform sich
konkret manifestiert. Wer bringt sie wie
und wann „ans Kind“?
Wie also entsteht Neues?
Aus gewaltfreier, kompetenter, authentischer, zugewandter,
durch Respekt und Anerkennung gekennzeichneter
Kommunikation und Kooperation in einem sozialen und kulturellen Kontext,
in dem eine Form gefunden werden muss, in der diese Kommunikation und
Kooperation die Kluft zwischen Rudimentärem und sog. Idealen überbrückt. Hier
wird man doch an die Konstellation Lehrling-Meister oder Novize-Könner
erinnert, das unsere amerikanische Kollegin Jean Lave so schön untersucht hat.
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